Bitcoin treibt die Demokratie auf die Spitze
Foto: © privat Jörg Hermsdorf
Der Dresdner Blockchain-Experte Jörg Hermsdorf sieht die Überlegenheit des digitalen Goldes übers Zentralbankgeld. Doch es wird ein schwieriger Weg werden.
Der gebürtige Dresdner Jörg Hermsdorf reist ständig rund um die Welt, um den Menschen die Blockchain und den Bitcoin näherzubringen. Er ist Co-Founder der Kölner Firma Conserve BlockChain Service GmbH.
Herr Hermsdorf, das Bitcoin-Netzwerk hat in den letzten Wochen bis zu mehr als die Hälfte seiner Rechenleistung (Hash Rate) verloren und ist trotzdem nicht in die Knie gegangen. Wie ist das zu erklären?
Ein längerer Verlust von ca. 35 Prozent wie wir ihn sahen ist zwar signifikant, aber man muss schon fast die Lupe nehmen, um ihn auf einem längerfristigen Chart zu erkennen. Anders gesagt, die Hash Rate ist aktuell auf dem Niveau von vor ca. einem Jahr. Die absolute Hash Rate ist für die unmittelbare Funktionsweise des Bitcoin Netzwerks jedoch nicht relevant. Es gibt kein definiertes Minimum oder Maximum. Das Netzwerk passt sich regelmäßig autonom an die verfügbare Hashing-Kapzität an. Entscheidend ist die relative Hashing Kapazität des Bitcoin Netzwerks gegenüber potenziellen Angreifern (oder Gegenspielern), und da liegt Bitcoin weiterhin mit mehr als 1.000 Prozent vor allen anderen bekannten Netzwerken. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass diese 35 Prozent tatsächlich verloren sind, sondern dass es sich dabei größtenteils um Betreiber handelt, die gerade China verlassen und dann in einigen Wochen woanders auf der Welt wieder online gehen.
China möchte einen digitalen Yuan herausbringen, Europa einen digitalen Euro. Das ist doch auch digitales Geld wie Bitcoin, oder?
Nein. Außer dass alle digital sind, könnten die objektiven Unterschiede gar nicht größer sein. Bitcoin ist ein transnationales, offenes, dezentrales, zensurresistentes, Transaktionsnetzwerk mit einer vorhersagbaren, nicht verwässerbaren, endlichen – aber beliebig teilbaren- Geldmenge.
Der digitale Yuan bzw. Euro sind in allen Aspekten das genaue Gegenteil, nämlich (inter-) nationale, geschlossene, zentralisierte und somit einfach zensierbare Transaktionsnetzwerke mit jeweils unvorhersehbaren und erfahrungsgemäß höchstwahrscheinlich expansiven Geldmengen, deren Einheiten nur sehr begrenzt teilbar sind.
Manche sagen, Bitcoin wird als erste Projekt in der Kryptowelt wieder in die Bedeutungslosigkeit verschwinden so wie damals AOL oder Yahoo, weil die neueren Projekte technisch besser werden. Ist das möglich?
Das ist kein passender Vergleich. AOL und Yahoo waren eine Zeitlang sehr beliebte Straßen und Gebäude im Cyberspace, die mit der Zeit für schönere und größere Einkaufszentren verlassen wurden. Bitcoin ist vielmehr das künstlich geschaffene Magnetfeld der Kryptowelt und versucht dort das Problem der „harten kosmischen Strahlung“ zu lösen. Bitcoin wählt dabei den Pfad der geringstmöglichen Komplexität, um maximale Sicherheit und Zuverlässigkeit zu garantieren. Auch wenn man es nicht direkt sieht oder fühlt, Bitcoin ist damit der Ursprung und bis heute die physikalische Grundlage, damit überhaupt Leben in dieser Kryptowelt entstehen kann. Die anderen Projekte versuchen entweder andere Problemstellungen zu lösen oder sonnen sich einfach nur im Schutz der Bitcoin-Magnetosphäre. In diesem Kontext sollte man deshalb Sonnenschirme, Sonnenbrillen und Sonnencreme – die billiger und augenscheinlich effizienter oder anwenderfreundlicher scheinen – nicht als „bessere Technologien“ verstehen. Sollte die Bitcoin-Magnetosphäre kollabieren, dann heißt es auch für die meisten anderen Krypto-Projekte „gute Nacht“.
Ethereum als zweitgrößte Kryptowährung stellt das Protokoll von Proof-of-work auf Prof-of-stake um, was wohl 99 Prozent Strom sparen soll. Weshalb macht das Bitcoin nicht ebenfalls?
Proof-of-Work ist ja genau das, was der Markt tatsächlich nachfragt. Man könnte auch sagen Bitcoin ist der unangefochtene Premium-Anbieter für Proof-of-Work. Selbst wenn es jemand bei Bitcoin ändern wöllte – was in einem echten dezentralen System schwierig ist – der Markt würde weiterhin Proof-of-Work nachfragen. Proof-of-Stake bietet nicht die gleichen, starken Sicherheitsgarantien wie sie durch das dominierende Proof-of-Work Netzwerk bereitgestellt werden können. Bitcoin ist mit überwältigendem Vorsprung genau dieses eine, dominierende Proof-of-Work Netzwerk und bietet dadurch eine konkurrenzlose, thermodynamische Garantie vor Löschung und Veränderung der in der Bitcoin-Blockchain verankerten Daten.
Strom zu sparen ist bei dem Problem, das Bitcoin löst, leider keine Option. Wenn ich z.B. bei der Flugzeugherstellung 99 Prozent Strom sparen möchte, dann sollte ich kein Aluminium verwenden, sondern z.B. Holz. Das wäre möglich. Dann erhalte ich aber ein komplett anderes Produkt mit anderen Sicherheitsgarantien. Leider gibt es keine Abkürzung bei der Aluminiumgewinnung wie man ohne oder mit sehr viel weniger Strom auskommt. Das sind nun mal die Gesetze der Thermodynamik an die uns halten müssen. Analog verhält es sich bei den Kryptowährungen. Und aus dem gleichen Grund, weshalb die meisten Menschen es bevorzugen, regelmäßig in Aluminiumflugzeuge zu steigen statt in Holzflugzeuge, werden viele ihr Geld und Vermögen das sie langfristig in Kryptowährungen aufbewahren wollen – also über Jahre oder Jahrzehnte – in das dominierende Proof-of-Work System stecken statt in ein Proof-of-Stake System. Das heißt nicht zwangsläufig, dass Proof-of-Stake und Proof-of-Work Netzwerke im Cyberspace nicht koexistieren können. Es gibt allerdings Anwendungsfälle, da geht Sicherheit einfach über alles. Koste es was es wolle, man nimmt das Beste was man bekommen kann, weswegen Proof-of-Work (und damit Bitcoin) immer eine Nachfrage am Markt haben wird. Gold war unter thermodynamischen Gesichtspunkten der beste verfügbare physische Wertspeicher der letzten 5.000 Jahre, und Bitcoin ist unter thermodynamischen Gesichtspunkten der beste verfügbare nicht-physische Wertspeicher. In meinem Vortrag „Das finale Geld“ erkläre ich das im Detail.
Bitcoin ist ein rein privates Projekt, es gilt aber angeblich als ein sehr demokratisches. Weshalb?
Demokratie (Mitbestimmung) ist nicht binär, sondern kann eine Ausprägung von 0 bis 100 Prozent haben. Am linken Ende der Skala finden wir Projekte, Gesellschaften, Systeme, in denen eine Einzelperson oder eine kleine Gruppe von Menschen die Regeln für alle anderen festlegt und in der Realität effektiv durchsetzt. Am rechten Ende der Skala stehen Systeme, bei denen nur solche Regeln effektiv durchgesetzt werden, denen alle Teilnehmer freiwillig zustimmen, also Regeln, über die ein Minimal-Konsens unter allen herrscht. In Verbindung mit dem Sezessions-Prinzip – also, dass es jedem Teilnehmer jederzeit möglich ist aus dem Regelwerk auszutreten – und ohne Repressionen oder Exit-Tax in Ruhe gelassen zu werden, würde man sicher von einem demokratischen Maximum sprechen.
Das Bitcoin-Projekt liegt in seiner Gesamtheit aktuell sehr weit am rechten Ende dieser Skala. Vergleicht man Bitcoin mit anderen „Demokratien“, sehen wir inzwischen eine entsprechende Gewaltenteilung die man als Legislative (Entwickler kurz „Devs“), Exekutive („Miner“), Judikative („Full-Nodes“) und unabhängige Presse (Twitter, Podcasts, Blogs) bezeichnen könnte. Nur eben, dass Bitcoin geographisch nicht begrenzt ist und statt Bürokratie auf eine computergestützte „Adhokratie“ setzt. Eine Organisationsform die Alvin Toffler bereits 1970 vorhergesehen hat. Gegenüber dem Entwurf von Toffler hat Bitcoin allerdings noch einen Feedback-Mechanismus, der es den Bitcoin-Bürgern („HODLern“) in Echtzeit (also 24 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche) erlaubt, über die Krypto-Märkte ihre Zustimmung oder Abneigung zu signalisieren. Dieser Feedback-Mechanismus zwingt die auf den ersten Blick völlig chaotisch und unstrukturiert erscheinende Bitcoin-Gemeinschaft wie ein großer Fischschwarm einigermaßen synchron in die gleiche Richtung zu schwimmen. Das Bitcoin-Projekt darf nämlich einerseits nicht stehen bleiben, denn sonst wird es irgendwann von anderen Krypto-Projekten gefressen. Es darf auf der anderen Seite aber nicht zu radikal experimentieren und dadurch in Gefahr laufen, die grob 1 Billion US-Dollar an Wert die es jetzt hält, leichtfertig zu verspielen.
Also ja, man könnte sagen, Bitcoin treibt das Demokratie-Prinzip auf die Spitze: Potenziell uneingeschränkte Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung kombiniert mit Wahlen, die in Echtzeit rund um die Uhr stattfinden, sowie der Sezessions-Möglichkeit („₿exit“) als letzte Konsequenz. Dieses Ethos zieht sich durch alle Schichten des Bitcoin-Ökosystems. Das gilt für die Weiterentwicklung des Bitcoin-Protokolls über die „Bitcoin Improvement Proposals“ (BIPs), die prinzipiell jeder einreichen und vorantreiben kann (nicht nur „Abgeordnete“). Das gilt für die Wahl der eigenen Wallet-Software, welche die entsprechenden BIPs respektiert oder eben auch nicht. Das gilt für die Wahl des Anbieters über den man seine Bitcoins („Sats“) kauft und welche BIPs dieser unterstützt oder auch nicht. Ob man sich mittels „Mining“ an der Durchsetzung der BIPs beteiligt oder nicht, oder ob man sich zumindest an der Überprüfung des Netzwerks mit einer sogenannten Full-Node beteiligt oder nicht.
Mitbestimmungsmöglichkeiten bestehen prinzipiell für jeden Menschen auf der Welt in unterschiedlichen Ebenen. Permissionless, also ohne Antrag und Genehmigungsstempel. Angefangen bei der Entscheidung einen Teil des Kuchens mit der absolut begrenzten Menge von reichlich zwei Billiarden Einheiten (Satoshis) zu besitzen.
Wie stark schätzen Sie die Community weltweit ein? Und wie wächst sie weiter?
Foto: © privat Jörg Hermsdorf Hochrechnungen über die Krypto-Handelsplattformen zufolge gibt es weltweit zwischen 150 und 200 Millionen Menschen, die inzwischen Bitcoin besitzen bzw. schon mal damit direkt Kontakt hatten. Insider-Informationen der Exchanges zufolge, die über Stanley Druckenmiller und Paul Tudor Jones bekannt wurden, glauben mehr als 85 Prozent davon an die langfristige Zukunft von Bitcoin und halten dem Netzwerk die Treue, auch in Zeiten, in denen der Dollar-Wert des Bitcoin Netzwerks stark korrigiert. Diese 85 Prozent nennen wir HODLer oder Bitcoin-Bürger. Jeder davon ist somit zumindest ein kleines Zahnrad der Community. Diese Zahl verdoppelt sich ca. alle zwei Jahre, deswegen rechne ich stark damit, dass wir gegen Ende des Jahrzehnts mindestens eine Milliarde Menschen mit Bitcoin-Exposition vorfinden werden.
Ein anderes Indiz für das Wachstum der Community sind Teilnehmerzahlen auf Bitcoin-Events wie die „Bitcoin 2021“ Konferenz in Miami dieses Jahr, die mit 12.000 Teilnehmern einen neuen Höchststand erreichte. Die Personen-Zahl der „Miner“ (Exekutive) kann man schlecht ermitteln, aber zumindest sehen wir sehr transparent die Hash Rate, die im Jahresmittel wächst und sich auch ca. alle zwei Jahre verdoppelt. Ein signifikanter Teil davon ist allerdings dem Fortschritt in der Hashing-Technologie zuzurechnen. Die Personen-Zahl der Betreiber von „Full-Nodes“ (Judikative) – ein wichtiger Teil der Community – lässt sich in einem dezentralen Netzwerk ebenfalls schwer ermitteln. Allerdings ist die Zahl der öffentlich erreichbaren Nodes seit vier Jahren recht stabil zwischen 8 und 12 Tausend, Tendenz leicht steigend.
Die Zahl der mitwirkenden Entwickler („Devs“) im Bitcoin Core Projekt hat sich in den letzten drei Jahren von 500 auf 800 erhöht. Bei dieser Zahl ist jedoch irgendwann mit einer Sättigung zu rechnen, da sich die Weiterentwicklung zunehmend auf „höhere Schichten“ des Bitcoin-Systems wie z.B. dem Lightning-Netzwerk verschiebt.
Vermutlich profitieren ärmere Staaten mit einer schwachen Währung stärker von Bitcoin. Ist das der Grund, weshalb Bitcoin jetzt zweite offizielle Währung in El Salvador ist?
Foto: © privat Jörg Hermsdorf Eine schwache Währung ist ja eher ein Symptom für Armut und nicht die eigentliche Ursache. Schon gar nicht in El Salvador, denn dort ist seit zwei Jahrzehnten der US Dollar die verwendete Währung. Es gibt noch mehr Länder, die keine eigene Währung haben, sondern den Dollar verwenden, u.a. Ecuador, Panama und Zimbabwe. Es ist wenig überraschend, dass eines dieser Dollar-basierten Länder den Bitcoin jetzt über den politischen Weg als offizielles Zahlungsmittel legitimiert. Im Prinzip haben sie nur ins Gesetz geschrieben, was in Teilen des Landes sowieso schon gängige Praxis war. Denn, obwohl El Salvador den Greenback (Papier-Dollar) verwendet, haben 70 Prozent der Bürger kein Bankkonto. Nicht, weil sie es nicht wollen, sie bekommen von den Banken einfach keinen Zugang zum elektronischen Zahlungsverkehr. Bitcoin ist für diese Menschen die einzig verfügbare, elektronische Alternative. Insgesamt haben weltweit zwei Milliarden Menschen dieses Problem, selbst in den USA haben ca. 20 Millionen Menschen kein Bankkonto.
In Ländern wie El Salvador sind allerdings noch zwei weitere Faktoren relevant. Erstens, ein signifikanter Anteil des BIP fließt von im Ausland lebenden Migranten an Familienangehörige. Diese sogenannten Remittance-Zahlungen, die über Geld-Transfer-Dienstleister wie Western Union abgewickelt werden, dauern nicht nur Wochen bis sie beim Empfänger sind, sondern verschlingen bis zu 30 Prozent des Werts an Gebühren. Über Bitcoin, speziell über das Bitcoin Lightning-Netzwerk, ist das eine Sache von Sekunden und die Gebühren betragen nur einen Cent.
Zweitens, da die US-Notenbank die Dollar-Geldmenge in den letzten 12 Monaten massiv um 50 Prozent ausgeweitet hat, sind die Dollar-basierten Länder die Leidtragenden des sogenannten „Cantillon Effekt“. Von dem neu geschaffenen Geld bekommen El Salvador, Panama, Ecuador ja nichts ab, trotzdem müssen sie mit den daraus resultierenden Preisanstiegen (Inflation) auf den Dollar-denominierten, internationalen Märkten klarkommen. Die Dollarreserven dieser Länder werden somit stark verwässert, was ihren Handlungsspielraum massiv reduziert.
Die Menschen, Unternehmen als auch Staaten dieser Länder entdecken jetzt, dass mit Bitcoin ein globales Open Source Geld-Netzwerk zur Verfügung steht, das seit 12 Jahren unglaublich zuverlässig operiert, an das sie sich kostenlos, unverbindlich andocken können – und das mit einer Liquidität von fast einer Billion US-Dollar, die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dieser Staaten bei weitem überschreitet. Das BIP von El Salvador beträgt z.B. mit 26 Milliarden USD nur knapp ein fünfzigstel des Bitcoin-Netzwerks, also mehr als genug, um theoretisch die komplette Innen- und Außenwirtschaft von El Salvador über Bitcoin abzuwickeln.
Die USA, Europa, China oder Japan haben starke Währungen. Hier ist der inflationäre Leidensdruck noch nicht groß genug für Bitcoin, oder?
Länder wie El Salvador haben fast nichts zu verlieren, wenn sie sich auf das Bitcoin-Experiment einlassen. Sollte sich dieser Schachzug als Fehler herausstellen, dann sind die Konsequenzen verhältnismäßig gering. Wenn der aber Plan aufgeht und noch mehr Länder in Zukunft diesen Schritt wagen, können sie als First Mover viel gewinnen.
In den von Ihnen angesprochenen Industrienationen ist die Situation komplexer, es gibt viele verschiedene Interessengruppen, die von Bitcoin tangiert oder sogar komplett überflüssig gemacht werden könnten. Niemand sägt freiwillig an dem Ast, auf dem er sitzt, selbst wenn es für eine Volkswirtschaft langfristig vielleicht gesünder wäre die faulen Äste abzusägen. Dennoch, in Japan ist Bitcoin schon seit vier Jahren ein legitimiertes Zahlungsmittel, allerdings kein gesetzliches, also seine Steuern kann man damit nicht bezahlen.
In den USA gibt es zumindest auf Ebene einiger Bundestaaten Bestrebungen, neben Gold und Silber, auch Bitcoin dem Dollar gleichzustellen und einen freien Wettbewerb der Währungen zuzulassen. Larry Kudlow, der ehemalige Direktor des US-Wirtschaftsrates, hat durchblicken lassen, dass die US-Regierung sich durchaus bewusst ist, dass Bitcoin perspektivisch unausweichlich scheint, auch wenn sie dies aus naheliegenden Gründen nicht mögen. In China ist Geld ein sozio-politisches Instrument, der Besitz von Bitcoin ist derzeit zwar nicht verboten, doch mit der Gleichstellung mit dem Yuan ist in absehbarer Zukunft sicher nicht zu rechnen.
In Europa ist die Situation sehr diffus. Das Euro-Experiment ist ja erst 20 Jahre alt und der Leidensdruck aus meiner Sicht bei weitem noch nicht groß genug, um über den politischen Weg Mehrheiten für das nächste Geld-Experiment zu erhalten. Die Verwendung von Bitcoin als Zahlungsmittel ist in der Privatwirtschaft zwar überall möglich, aber mit zusätzlichen Hürden versehen, so dass Bitcoin hier überwiegend als alternativer Wertspeicher verwendet wird.
Eine digitale Staatswährung kann auch in Zukunft noch beliebig oft erzeugt werden, Bitcoin nicht. Bei 21 Millionen Stück ist Schluss. Kann das nicht zum Problem werden?
Kommt auf die Perspektive an. Für Menschen, die an eine freie Marktwirtschaft glauben, ist das kein Problem, denn Bitcoins sind nahezu perfekt teilbar. Stand heute ist jeder Bitcoin in 100 Millionen Einheiten – sogenannte Satoshi oder kurz „Sats“ – teilbar und 1,8 Billiarden davon befinden sich schon im Umlauf. Im Lightning-Netzwerk sind sogar bereits tausendstel Satoshi möglich. Man kann sich das wie eine Gold-basierte Wirtschaft vorstellen, bei der jeder die Möglichkeit hätte ein Goldstück in Bruchteilen einer Sekunde bis in seine Atome zu zerteilen. Dann nimmt man ein einzelnes Gold-Atom und schickt es mit Lichtgeschwindigkeit ans andere Ende der Welt, weil dort jemand sitzt, dessen Website man gerade liest. Also Geldeinheiten gibt es beim Bitcoin für alle erdenklichen Anwendungsfälle prinzipiell genug und eine freie Wirtschaft hat die Fähigkeit, sich an die zur Verfügung stehende Geldmenge anzupassen.
Allerdings führt eine limitierte Geldmenge mit der Zeit zu grundlegenden Verhaltensänderungen bei vielen Menschen, Unternehmen und damit auch den Volkswirtschaften. Wenn man kein Geld einfach drucken oder per Knopfdruck in der Datenbank einer Zentralbank entstehen lassen kann, dann muss man es sich zunächst erarbeiten und sparen, bevor man es ausgeben kann. Man muss etwas von echtem Wert schaffen und anbieten, damit andere bereit sind, sich im Austausch von ihrem Geld zu trennen. Für Menschen, Unternehmen und Staaten, die allerdings daran gewöhnt sind über ihren Verhältnissen zu leben – und die es gewöhnt sind, wenn ihr eigenes Geld knapp wird, einfach mehr davon zu produzieren – wird Bitcoin eine harte Umstellung. Aber Menschen können lernen und sich anpassen.
Ernstzunehmende Wissenschaftler haben gesagt, dass im Falle einer neuen Pandemie der Staat ohne sein Staatsgeld, sondern nur mit Bitcoin nicht richtig handlungsfähig wäre. Was sagen Sie?
Das ist zwar eine philosophisch interessante Hypothese – die man auch allgemeiner für „unvorhergesehene Herausforderungen in der Zukunft“ formulieren könnte – aber sie ist ohne Relevanz für unsere Realität. Diese Hypothese unterstellt ja, dass sich ein solcher Bitcoin Standard als monetäre Singularität, unerwartet, schlagartig über Nacht einstellt und sich nur ein Parameter geändert hat: Das Geldsystem. Die zeitliche Komponente, also wie es zu diesem Bitcoin Standard kommt und welche anderen Parameter, Annahmen und Verhaltensmuster der Menschen sich im Laufe dieses intertemporalen Vorgangs ebenfalls geändert haben, wird jedoch unterschlagen.
Geld ist der primäre Koordinationsmechanismus unserer Gesellschaften. Wenn sich das Geldsystem ändert, ändern sich die grundlegenden Spielregeln. Neue Spielregeln ermöglichen neue Handlungsoptionen. Manche Optionen fallen weg, dafür kommen neue hinzu. Und wenn der Mensch sich anpasst, dann verändert sich auch das Spielfeld. Nehmen wir das Beispiel El Salvador. Der Staat dort hat seit 20 Jahren kein eigenes Staatsgeld und somit auch nicht die damit verbunden Handlungsoptionen. Dass sie jetzt anfangen, zusätzlich zum US Dollar, auf den Bitcoin Standard zu setzen zeigt, dass sie die mit einem eigenen Staatsgeld verbunden Optionen offenbar auch nicht vermissen. Ich denke, sie sind sich der Konsequenzen eines Bitcoin Standards sehr bewusst, weil sie sich intensiv damit beschäftigt haben und sie werden versuchen sich an die damit einhergehenden Spielregeln so gut wie möglich anzupassen.
Möglicherweise wird das Zentralbankgeld aber bleiben und Bitcoin einfach nur ein Store-of-Value (Wertspeicher) sein wie Gold, oder?
Zentralbankgeld hat eine durchschnittliche Lebensdauer von ca. 40 Jahren, weswegen wir darüber streiten könnten, ob es wirklich bleibt. Zumindest kommt es in neuem Gewand regelmäßig wieder. Allerdings glaube ich, dass die Wiederauferstehung von Fiatgeld in einem Land in Zukunft zunehmend schwieriger wird. In der Vergangenheit konnte Fiat-basiertes Zentralbankgeld relativ einfach durchgedrückt werden, indem man alle konkurrierenden Formen von Geld konfisziert oder deren Verwendung entsprechend besteuert hat und diese Besteuerung auch tatsächlich durchsetzen konnte. Bitcoin – mit seiner nicht-physischen und hyper-lokalen Natur – konkurriert jetzt mit jeder Zentralbankwährung auf der Welt, ob die Staaten es wollen oder nicht. Und Bitcoin hat das Potential beides zu sein, ein guter Wertspeicher und ein schnelles, effektives Zahlungsmittel. Dadurch verursacht Bitcoin weniger Kosten für die Menschen, weil man nicht ständig über Vermittler zwischen Wertspeicher und Zahlungsmittel umtauschen muss. Gutes Geld ist ein Grundbedürfnis vieler Menschen, wie frisches Wasser. Es wird schwierig werden, ein Geld-Monopol in einem Land aufrecht zu erhalten, bei dem die Menschen nicht auf Bitcoin ausweichen, wenn das Zentralbankgeld zu schlecht ist. Das geht dann nur über drastische Maßnahmen, und das werden keine attraktiven Länder sein, weder für Investoren noch für Unternehmen und Fachkräfte. Das Ergebnis: Armut.
Daher werden sich die Zentralbanken über kurz oder lang dem Wettbewerb mit Bitcoin stellen müssen und einfach gutes Geld anbieten. Das wird nicht leicht, Bitcoin hat eine Armada an sehr guten Entwicklern, die über die Welt verteilt sitzen und weiterentwickeln. Zusätzlich müssen sich die Regierungen dann Mühe geben, die Eigentumsrechte der Bürger an diesem guten Zentralbankgeld zu respektieren, ansonsten wechseln die Menschen trotzdem auf Bitcoin, wo die Eigentumsrechte über die Gesetze der Thermodynamik forciert werden. Viele kleine Länder werden in diesem technologischen Wettkampf kapitulieren und ihr eigenes Zentralbankgeld früher oder später aufgeben.
Transfers auf der Blockchain sind jetzt schon teuer und werden noch teurer. Als Alternative ist das Lightning-Netzwerk entwickelt worden. Was ist das und wieviel Menschen nutzen es?
Aus Sicht der Nutzer ist Lightning Magie. Man scannt mit dem Handy eine Rechnung, drückt „Senden“ und Sekunden später sind die Sats (Bitcoin-Krümel) beim Empfänger. Kosten: fast Null.
Das Lightning-Netzwerk nutzt das teure Premium Proof-of-Work Netzwerk lediglich als dezentrales Schiedsgericht. Die Idee dahinter ist, dass in einer Wirtschaft ein Großteil der Zahlungen im einvernehmlichen Einverständnis stattfinden und es eher selten zu Streitigkeiten kommt, die vor Gericht geklärt werden müssen. Die Transaktionen, die dann noch in der Bitcoin-Blockchain landen, sind also keine Zahlungen im klassischen Sinn mehr, sondern die Gründung und Auflösung von Vertragsgesellschaften. Die Bitcoins werden dabei quasi als Stammkapital eingesperrt und können nicht wegtransferiert werden, solange die Vertragsgesellschaft existiert. Tatsächliche Zahlungen für Güter und Dienstleistungen sind dann digitale, smarte Verträge, die einvernehmlich Änderungen an den Anteilsverhältnissen dieser Vertragsgesellschaften vornehmen. Diese smarten Verträge werden erstmal nur über das Lightning-Netzwerk ausgehandelt und ausgetauscht, so dass jeder für den Fall der Fälle eine fälschungssichere, aktualisierte Gesellschaftsvertrags-Kopie hat, die er gegenüber der Bitcoin-Blockchain einlösen könnte. Das Alles ist natürlich komplett automatisiert und wird von der Wallet-Software auf dem Smartphone oder Computer erledigt, also niemand muss von Hand die Verträge erstellen und signieren. Somit sind Lightning-Zahlungen zu extrem geringen Kosten möglich, vergleichbar mit einer E‑Mail, da das Schiedsgericht (die Blockchain) größtenteils nicht involviert ist. Die potentielle Transaktionskapazität beträgt Schätzungen zu Folge bis zu einhunderttausend Zahlungen pro Sekunde.
Das Lightning-Netzwerk erbt dabei viele der Eigenschaften des Bitcoin-Netzwerks: Es ist ein offener, hersteller-übergreifender Standard, der frei von Patenten ist und an das sich im Prinzip jeder andocken kann. Das Lightning-Netzwerk ist ebenfalls dezentral und bietet eine gewisse Zensur-Resistenz. Auch im Lightning-Netzwerk gibt es maximal nur 21 Millionen Bitcoin, es können weder absichtlich noch versehentlich neue Bitcoin geschaffen werden. Aktuell befinden sich im Lightning Netzwerk ca. 2.000 Bitcoin, also eine Liquidität von 80 Millionen US Dollar. In Deutschland kann man Lightning z.B. dafür benutzen, um Guthaben auf seinen Prepaid-Mobilfunkvertrag aufzubuchen.
Die aktuelle Stabilität und Leistungsfähigkeit des Lightning-Netzwerks hat die Verantwortlichen in El Salvador überzeugt, dass es gut genug ist, um Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel für die über sechs Millionen Menschen einzuführen. Die Annahme ist, dass ein Großteil der Bitcoin-Zahlungen in El Salvador dann zuverlässig und kostengünstig über das Lightning-Netzwerk abgewickelt werden kann.
Warum ist alles um dieses Thema Bitcoin, Krypto und Blockchain so sehr technisch und anwenderunfreundlich? Wird sich das ändern?
Es braucht einfach Zeit. Die Bitcoin Community musste sich die gesamte Software und Technik aus eigener Kraft erarbeiten. Es gab keine finanzielle Unterstützung seitens irgendwelcher Regierungen. Der Fokus lag bisher auf der Sicherheit und Stabilität des Protokolls, da ist viel Grundlagenarbeit erforderlich, um Wege auszuloten wie man das Protokoll, das vielleicht für hunderttausend Teilnehmer funktioniert, „trustless“, „permissionless“ und zensurresistent auf 10 Milliarden Menschen und 100 Milliarden Maschinen skalieren kann. Außerdem kostet die Optimierung der Benutzbarkeit eine Menge Geld. Kosten, die i.d.R. nur jemand trägt, wenn es ihm dadurch möglich ist einen Massenmarkt zu erschließen. Dafür brauchen Investoren aber rechtliche Sicherheit, dass sie die Dienstleistung dann auch tatsächlich anbieten dürfen.
Die Optimierung der Benutzbarkeit durch den nicht-technik-affinen Menschen steht da erst relativ weit hinten an.
Die entscheidende Funktion von Geld ist, den Preisunterschied zwischen verschiedenen Waren und Dienstleistungen zu kommunizieren. Ein Wirtschaftssystem, in dem sich die Geldmenge allerdings ständig ändert – wie z.B. im Euro oder Dollar – führt zu Störungen im Preisgefüge und der Wirtschaft, selbst wenn diese Interventionen eigentlich gut gemeint sind. Es ist vielmehr die aktive Steuerung des Finanzsystems, die zu den sogenannten Boom- und Bust-Zyklen, Zombie-Unternehmen und Finanzkrisen wie 2008 führt.
Bitcoin ist der komplette Gegenentwurf dazu, ein System, in dem die Geldmenge einmal festgelegt und dann unveränderlich ist. Ähnlich wie beim „Metrischen System“, der Meter wurde als Maßstab für Größen und Längen vor ca. 300 Jahren einmal festgelegt und seitdem nicht mehr geändert. Es wäre sehr folgenschwer und ineffizient für alle Menschen, wenn man den Meter jedes Quartal neu definieren würde. Mit Bitcoin bekommt die Wirtschaft das, was Wissenschaftler und Ingenieure schon lange haben: ein globales Standardmaß für ihr Fachgebiet. Einen unveränderlichen Referenz für Werte und Bewertungen.
Etwa 2028 werden bereits rund 20 Millionen Bitcoin – also 95 Prozent der Maximalmenge – im Umlauf sein. Für die restliche eine Million werden dann noch 110 Jahre benötigt. Der letzte Bitcoin wird im Jahr 2105 begonnen verteilt zu werden und fast 40 Jahre lang ausgeschüttet. Es sind dann nur noch sehr kleine Beträge, Bruchteile eines Bitcoin, die täglich neu hinzukommen. Die Geldmenge wird dann faktisch nicht mehr erhöht. Das Netzwerk ist ab diesem Zeitpunkt dann ein reines Transaktionsnetzwerk. Damit bedient Bitcoin die Nachfrage vieler Menschen, die sich eine Währung ohne Inflation wünschen. Gerade in China. Dort ist der Handel mit Bitcoin sogar verboten, dennoch wird dort „auf der Straße“ gehandelt. Der Staat kann das Verbot selbst in diesem eher totalitär geführten Land nicht effektiv durchsetzen.
Das Gespräch führte Ulf Mallek für “Wirtschaft in Sachsen”
Jörg Hermsdorf, Cloud- und Blockchain Experte, System Architekt, Forscher und Unternehmer
Jörg Hermsdorf (41) hat Informatik und Kognitionswissenschaften an der TU Dresden studiert, mit Schwerpunkt auf Architekturen verteilter Systeme und IT-Sicherheit.
Er ist Mitgründer der deutschen CONSERVE BlockChain-Service GmbH. Als Verantwortlicher für den Bereich „Forschung und Bildung“ ist er der führende Ansprechpartner zu Themen rund um Blockchain-Technologie und Krypto-Währungen. Er ist Redner auf Konferenzen, Veranstaltungen und Podcasts.
CONSERVE ist ein auf Bitcoin-Technologie spezialisiertes Systemhaus in Deutschland: Seit 2011 werden Unternehmen, institutionelle Investoren und Privatpersonen über die aktuellen und zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten beraten. CONSERVE bietet aktuell in Deutschland, Österreich und der Schweiz alle Leistungen für die erfolgreiche Durchführung eines Bitcoin- bzw. Blockchain-Projektes aus einer Hand: Beratung, Programmierung und Schulung
Jörg HermsdorfCloud- und Blockchain Experte, System Architect, Research & Co-Founder
Jörg hat Informatik und Kognitionswissenschaften an der TU Dresden studiert, mit Schwerpunkt auf Architekturen verteilter Systeme und IT-Sicherheit. Er war Unternehmensberater und Gründer eines App Start-ups. Als Mitgründer ist er der führende Ansprechpartner zu Themen rund um Blockchain-Technologie und Krypto-Währungen. Jörg untersucht seit 2010 die Bitcoin-Technologie auf Schwachstellen und Einsatzmöglichkeiten, sein fundiertes Fachwissen basiert auf jahrelanger Recherche und Interaktion mit der Bitcoin- und Blockchain Community.
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CONSERVE ist eines der ältesten auf Blockchain-Technologie spezialisierten Systemhäuser in Deutschland: Seit 2010 beraten wir Unternehmen und Privat-Personen über die aktuellen und zukünftigen Anwendungs- Möglichkeiten.
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